Erwarteter und tatsächlicher Stromverbrauch im Vergleich

Der Stromverbrauch in Basel-Stadt liegt seit den Stromspar-Kampagnen des Bundes und des Kantons Basel-Stadt im Herbst 2022 oft leicht tiefer als gemäss Modellrechnungen erwartet werden dürfte. Die geschätzten Einsparungen sind relativ zum gesamten Stromverbrauch eher gering.

Der tägliche Stromverbrauch nimmt seit 2012 tendenziell ab

Die folgende Analyse basiert auf täglichen Stromverbrauchsdaten der Industriellen Werke Basel (IWB). Anhand dieser Daten wird mit einem statistischen Modell der erwartete Stromverbrauch geschätzt. Da der Stromverbrauch von der Witterung abhängig ist, wird die tägliche Wettersituation mitberücksichtigt. Im Modell wird ebenfalls berücksichtigt, ob es sich um Ferien-, Feier-, Werktage oder Wochenenden handelt.

Der tägliche Stromverbrauch nimmt seit 2012 tendenziell ab (vgl. Grafik 1). Im Januar 2012 lag der Verbrauch beispielsweise bei 138 GWh. Zehn Jahre später, im Januar 2022, bei 107 GWh. Seit dem ebenfalls sichtbaren Einbruch während des Lockdowns im Frühling 2020 hat sich die Abnahme verlangsamt. Der summierte Stromverbrauch des Jahres 2022 war mit 1'245 GWh praktisch gleich hoch wie derjenige des Vorjahres mit 1'248 GWh. Im zweiten Halbjahr 2022 war der Verbrauch immerhin 12 GWh geringer als im zweiten Halbjahr 2021. 

 

Monatlicher effektiver Stromverbrauch in kWh seit 2012

Vergleich zwischen erwartetem und effektivem Verbrauch

Für die Beantwortung der Frage, ob der Stromkonsum in den letzten Monaten aufgrund der befürchteten Mangellage und der daraufhin lancierten Stromspar-Kampagnen rückläufig war, reicht ein Blick in die Rohdaten nicht. Aussagekräftiger ist der Vergleich zwischen dem erwarteten und dem effektiven Verbrauch: Ist der Stromverbrauch geringer, als man es für einen bestimmten Tag im Jahr mit einer bestimmten Witterung aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre erwarten würde?

Diese Frage lässt sich mit der eingangs erwähnten Witterungs- und Kalenderbereinigung beantworten. Mit dieser Methode kann für jeden Tag eine erwartete Verbrauchsmenge geschätzt werden, die dem effektiven Stromverbrauch gegenübergestellt werden kann. Um diesen prognostizierten Wert wird ein Prognoseintervall geschätzt, in welchem der Stromverbrauch mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% zu liegen kommen sollte.

Der erwartete Stromverbrauch für das zweite Halbjahr des Jahres 2022 wird basierend auf den effektiven Verbrauchswerten seit Anfang 2012 prognostiziert. In Grafik 2 sieht man den effektiven Stromverbrauch (blau) und den erwarteten Stromverbrauch für jeden Tag (rot). Die rote Fläche ist das 95%-Prognoseintervall.

Effektiver und erwarteter täglicher Stromverbrauch in kWh (Zoom durch klicken und ziehen)

Der Stromverbrauch liegt meist nur geringfügig unter der Erwartung

Ist der Stromverbrauch aufgrund der Stromspar-Kampagnen gesunken? Der erwartete Stromverbrauch deckt sich in den Sommermonaten bis Mitte September 2022 mit dem effektiven Stromverbrauch. Danach liegt der effektive an Werktagen bis Anfang Dezember meist unterhalb des erwarteten Stromverbrauchs. Dies weist auf einen reduzierten Stromverbrauch hin. Allerdings liegt dieser innerhalb des Prognoseintervalls, d.h. es sind kaum signifikante Unterschreitungen der erwarteten Verbrauchsmenge zu beobachten. Die häufigen täglichen Unterschreitungen im Herbst 2022 deuten aber darauf hin, dass der Stromverbrauch temporär leicht reduziert wurde.

Wenn man den erwarteten Stromverbrauch und das Konfidenzband zu siebentägigen gleitenden Durchschnitten aggregiert, ist erkennbar, dass der Stromverbrauch sich seit Mitte September bis Ende November relativ konstant an der unteren Grenze des 95%-Konfidenzbands bewegt (vgl. Grafik 3). Der wöchentliche Stromverbrauch hat gemäss diesen Berechnungen im September 2022 zeitweise signifikant abgenommen. Seither liegt er aber nur selten signifikant unter dem erwarteten Stromverbrauch.

Seit Anfang Dezember wechseln sich Tage mit einem Verbrauch unter der Erwartung mit Tagen mit einem Verbrauch über der Erwartung ab. Deutlich zu sehen ist der kältebedingt starke Anstieg des Stromverbrauchs um den 10. Dezember 2022. Die Vorhersage um Festtage herum ist fehleranfälliger als in normalen Arbeitswochen, entsprechend sollten die Abweichungen um Weihnachten und Neujahr nicht überinterpretiert werden. Im Januar 2023 lag der Verbrauch weitgehend im Rahmen der erwarteten Menge.

Wöchentlicher effektiver Stromverbrauch und Prognoseintervall in kWh (Zoom durch klicken und ziehen)

Die summierte Differenz zwischen dem täglich erwarteten Stromverbrauch und der effektiv verbrauchten Menge lag zwischen Anfang September und Ende November 2022 bei 5,7 GWh. In derselben Zeitspanne lag der Gesamtverbrauch bei 306,0 GWh, der erwartete Verbrauch bei 311,6 GWh. Das heisst, dass der tatsächliche Verbrauch 1,8% unter dem erwarteten Verbrauch lag. Seit Anfang Dezember liegt der summierte Stromverbrauch leicht über der erwarteten Menge. Eine mögliche Erklärung ist, dass gegen Ende des Herbstes eine Strommangellage im Winter 2022/2023 unwahrscheinlicher wurde, was wiederum das Verhalten der Konsumenten beeinflusst haben könnte.

Methodisches Vorgehen

Für die Witterungsbereinigung wird die Temperatur (Tagesdurchschnittstemperatur, Heizgradtage und Kühlgradtage, die Rückschlüsse auf den witterungsbedingten Stromverbrauch erlauben) sowie die Globalstrahlung verwendet. Eine höhere Globalstrahlung führt zu einem geringeren Stromverbrauch. Ein höherer Wert bei den Kühlgradtagen und bei den Tagestemperaturmaxima erhöhen den Stromverbrauch. Die Kalenderbereinigung zieht die Schulferien und die Feiertage in das Modell mit ein. Für sämtliche Typen von Schulferien (z.B. Weihnachtsferien) und Feiertagen (z.B. Auffahrt) wird ein individueller Effekt auf den Stromverbrauch geschätzt.

Die Analyse wurde mit der R-Bibliothek «prophet» durchgeführt. Das Paket schätzt ein additives Modell, wobei die Zeitreihe in drei Komponenten unterteilt wird: In eine Trendkomponente, in eine wöchentliche Komponente und in eine tägliche, von Ferien, Feiertagen und der Witterung geprägten Komponente. Durch die Addition der drei Werte wird der erwartete Wert für einen bestimmten Tag ermittelt.

Grenzen des Modells

Am wichtigsten für den erwarteten Stromverbrauch beziehungsweise die Abweichung davon ist der mittelfristige Trend. Die Resultate basieren auf der Annahme, dass sich der allgemeine Trend des Stromverbrauchs seit dem Lockdown bis heute fortsetzt. Unbeobachtete Einflussgrössen können den Trend, die Prognoseintervalle und somit das Resultat der Analyse beeinflussen.

Die Einflüsse der Witterungsvariablen wurden entweder linear oder im Falle der Heizgradtage noch zusätzlich mit einem quadratischen Term modelliert. Sowohl bei stromverbrauchender Kühlung (Klimaanlagen) als auch Heizung wird es Schwellenwerte und nichtlineare Zusammenhänge geben, die mit dieser einfachen Modellierung nicht abgebildet werden können. Weiter berücksichtigt das Modell nicht, dass die Temperaturabhängigkeit des Stromverbrauchs im Zeitverlauf zunehmen kann, beispielsweise durch die vermehrte Verwendung von Klimaanlagen und Wärmepumpen.

Die Konfidenzintervalle der gleitenden Mittelwerte scheinen in der Realität weniger als 95% der Fälle abzudecken, sind also in der Tendenz zu schmal geschätzt. Der erwartete Verbrauch an Weihnachten 2022 und Neujahr 2023 unterschätzt den Stromverbrauch deutlich, da die Feiertage auf Wochenendtage gefallen sind.

Mit der Software R und den auf dem Datenportal Basel-Stadt öffentlich zugänglichen Daten lässt sich die Analyse nachvollziehen. Der Analysecode ist im Bereich methodische Grundlagen einsehbar. Das Modell wird voraussichtlich Mitte 2023 aktualisiert.